Wiedergutmachung
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1724-1732


I. Unter W. (restitutio) versteht man die Behebung ungerecht zugefügten Schadens, im besonderen am Eigentum. Sie ist Akt der Gerechtigkeit (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.62 a.1).


1. Die Pflicht der W. ergibt sich daraus, daß ohne sie die Gerechtigkeitsforderung "Jedem das Seine" nicht erfüllt ist, sondern das Unrecht fortgesetzt wird. Für den, der das Eigentum des Mitmenschen verletzt hat, besteht die Achtung vor diesem Eigentum eben in der W. Durch deren Unterlassung würde er sicher gegen die Weisung verstoßen: "Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun" (Mt 7,12). Das AT fordert ausdrückl. W. (Ex 22,2.4 f; Tob 2,13).

Wer sich gegen das Eigentum des Mitmenschen verfehlt hat, gibt seine Sünde nur auf, wenn er zur W. bereit ist (r. in voto; vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.62 a.2). Die Ausführung dieses Willens liegt freil. nicht immer in der Macht des Menschen. Unmöglichkeit läßt auf die Dauer ihres Bestehens die Pflicht der Ausführung nicht drängend werden (vgl. Thomas v. A. ebd. ad 1). Sobald der Verpflichtete jedoch kann, muß er den Willen ins Werk umsetzen (W. als Zeichen wahrer Bußgesinnung: Ez 33,14 f; Augustinus, Ep. 153,6/20; PL 33,662; der Beichtvater darf jene nicht lossprechen, die trotz Möglichkeit unrechtmäßig erworbenes fremdes Gut von größerer Bedeutung nicht zurückstellen wollen).


2. Der Natur der Sache nach muß W. auf derselben Güterebene geleistet werden, auf der der Schaden angerichtet wurde (Geld kann nicht den verletzten guten Ruf ersetzen). Wenn jemand nicht auf derselben Ebene gutmachen kann, ist ihm manchmal zu raten, zur Bezeugung des guten Willens auf anderer Ebene etwas zu tun.


II. Auf dem Gebiet des Eigentums ist zur W. verpflichtet, wer sich die Verfügung über fremdes Gut zu Unrecht angemaßt hat.


1. Wer fremdes Gut unrechtmäßig besitzt, muß es zurückstellen. Diese Pflicht besteht nicht nur für den unredl. Besitzer (malae fidei), der eine Sache behält, obwohl er weiß od. aus den Umständen vermuten muß, daß sie einem anderen gehört, sondern auch für den redl. unrechtmäßigen Besitzer (bonae fidei), der aus Irrtum über Tatsachen od. aus Unwissenheit über gesetzl. Vorschriften eine fremde Sache, die er in Besitz hat, für die seine hält.


a) Jeder unrechtmäßige Besitzer ist zur Rückstellung verpflichtet, sobald er erkennt, daß er eine Sache besitzt, die nicht ihm gehört.


a 1.) Zurückzustellen ist die Sache. Das bürgerl. Gesetz enthält meistens Entschädigungsregeln für den Fall, daß die Sache durch mehrere Hände gegangen ist.

a 2.) Wer unrechtmäßig aus einer fremden Sache einen Ertrag erzielt hat, muß auch diesen, soweit er auf die Sache, nicht auf seinen eigenen Fleiß zurückgeht, dem Eigentümer überlassen.

a 3.) Der unrechtmäßige Besitzer, der für die fremde Sache Auslagen hatte, kann deren Ersatz verlangen, wenn es sich um notwendige (z.B. Hausreparaturen) od. nutzbringende (z.B. Pflanzen von Obstbäumen in einem Garten), nicht um reine Luxusausgaben handelte.


b) Der redl. unrechtmäßige Besitzer hat vor dem unredl. voraus, daß er nicht wissentl. (formal) ungerecht gehandelt hat.


b 1.) Wenn er nach einer gewissen Zeit redl. Besitzes entdeckt, daß die Sache nicht ihm gehört, aber den Eigentümer nicht ausfindig machen kann, darf er sie als herrenlose Sache behandeln (erste Besitzergreifung). Überdies kann er sie durch ersitzende Verjährung erwerben.

Sobald der redl. Besitzer daraufkommt, daß eine Sache, die er schon weitergegeben hat, fremdes Eigentum war, ist er aus Nächstenliebe verpflichtet, den Eigentümer od. den jetzigen Besitzer auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen, falls nicht ihm selbst daraus unverhältnismäßig großer Schaden droht.

b 2.) Auch Früchte einer fremden Sache kann der redl. Besitzer durch Ersitzung erwerben. Etwaige Bestimmungen des bürgerl. Gesetzes darüber sind um des Gemeinwohles willen zu achten.


c) Dem unredl. Besitzer erwachsen nicht nur aus dem Besitz der fremden Sache, sondern auch aus seiner gegen den Eigentümer formal begangenen Ungerechtigkeit W.spflichten.


c 1.) Er kann die Sache nicht durch Ersitzung erwerben. Selbst wenn er die Sache nicht mehr besitzt, ist er wegen seines Unrechtes verpflichtet, den Eigentümer schadlos zu halten, falls dieser sie nicht mehr erlangen kann (außer sie wäre durch eine Ursache zugrunde gegangen, durch die sie auch beim Eigentümer zu bestehen aufgehört hätte). Auch einen etwaigen Wertverlust, den die Sache beim Eigentümer nicht erlitten hätte, muß der unredl. Besitzer ersetzen.

c 2.) Die Früchte kann der unredl. Besitzer ebenfalls nicht durch Ersitzung erwerben.

c 3.) Soweit er einen Verdienstentgang od. einen entstehenden Schaden, den er dem Eigentümer durch sein formal ungerechtes Verhalten verursacht, wenigstens in Umrissen vorausgesehen hat, muß er auch dafür aufkommen.


d) Jemand kann aus einem ernsten Grund unsicher sein, ob eine Sache, die er besitzt, ihm gehört od. einem anderen (zweifelnder Besitzer).


d 1.) Wenn die Unsicherheit erst nach der Besitznahme aufritt (dubium superveniens), ist der Besitzer verpflichtet, die Sache zu verwahren u. mit einer ihrem Wert entsprechenden Sorgfalt nach der Wahrheit zu forschen. Falls sich die Unsicherheit nicht beheben läßt, darf er wie sonst ein redl. Besitzer die Sache behalten u. über sie verfügen; ebenso, wenn er nicht nachforschen konnte. Wenn er jedoch nach Auftreten der Unsicherheit die Nachforschung schuldbar unterläßt, macht er sich dadurch zum unredl. Besitzer.

d 2.) Wenn man schon vor der Besitznahme einer Sache zweifelt, ob man dazu berechtigt ist (dubium antecedens), hat man die Pflicht, sie ihrem augenblickl. Besitzer zu belassen, falls dessen Recht auf sie wahrscheinl. ist ("In dubio melior est conditio possidentis"). Falls man sie trotz solcher Unsicherheit an sich zieht, ist man zur Rückstellung an diesen anderen verpflichtet.


2. Wer fremdes Gut ungerecht schädigt, ist zur W. verpflichtet.


a) Schadenersatzpflicht entspringt aus einer schädigenden Handlung nur,


a 1.) wenn sie wirkl. ungerecht ist (actio vere iniusta), d.h. den Mitmenschen eines ihm rechtl. zustehenden Gutes beraubt (wenn der Schädiger zu seiner Handlung berechtigt ist, wird er für den Schaden, der aus ihr einem anderen entspringt, nicht ersatzpflichtig; ebenso nicht für den Schaden aus der Unterlassung einer Handlung, zu der der Unterlassende nicht aus Gerechtigkeit verpflichtet ist, z.B. aus dem Nichtlöschen des Brandes im Haus eines anderen);

a 2.) wenn sie den Schaden tatsächl. bewirkt (causa damni efficax) (wer nicht geschädigt wurde, hat keinen Anspruch auf Ersatz; der Handelnde wird nicht ersatzpflichtig, wenn der Schaden nicht aus seiner Handlung, sondern aus einer anderen Ursache stammt);

a 3.) wenn sie nicht bloß mit juridischer Schuld (in sachl. Widerspruch zu einem menschl. Gesetz, das zur Vermeidung von Schäden, etwa im Straßenverkehr, ein bestimmtes Verhalten fordert), sondern mit theol. Schuld (als formale Sünde) begangen wurde (niemand kann für eine Schädigungshandlung haftbar gemacht werden, die er nicht als solche kraft freier Entscheidung, also als menschl. Akt, gesetzt hat; theol. Schuld entsteht auch, wenn jemand eine Schadensursache unabsichtl. setzt, sie aber später, obwohl er könnte, wissentl. nicht beseitigt, etwa einen entstehenden Waldbrand, den er aus reinem Versehen verursacht hat, nicht löscht; eine reine juridische Schuld erzeugt Ersatzpflicht nur bei entsprechender vertragl. Regelung od. nach dem Richterspruch, der um des Gemeinwohles willen im Gewissen verpflichtet).


b) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn unsicher bleibt ("Lex dubia non obligat"),


b 1.) ob die Schädigungshandlung ungerecht war od. theol. schuldbar begangen wurde (dubium iuris),

b 2.) ob ein Schaden tatsächl. eingetreten ist od. ob er nicht aus einer anderen Ursache stammt (dubium facti).


c) Wer einen Teil des Schadens, den er zugefügt hat, aus Irrtum nicht vorausgesehen u. daher nicht beabsichtigt hat, ist hinsichtl. dieses Teiles nicht ersatzpflichtig, da er daran keine theol. Schuld trägt. Wer jedoch nur in der Person des Geschädigten irrt, ist zur W. verpflichtet, da diese Pflicht aus der als ungerecht schädigend erkannten u. frei gesetzten Handlung, die ihre Wirkung erreicht, entspringt, wem immer sie angetan wird.


3. Wer mit anderen zus. das Eigentumsrecht eines Menschen ungerecht u. theol. schuldbar verletzt (Mitwirkung), ist als Teilursache des Schadens wenigstens zu teilweiser W. verpflichtet (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.62 a.7; D 2139).


a) Von den Arten solcher Mitwirker ("Iussio, consilium, consensus, palpo, recursus - participans, mutus, non obstans, non manifestans", Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.67 a.7) nehmen positiven Einfluß auf die Handlung der Auftraggeber (iussio), der Ratgeber (consilium), der Lobende u. der Tadelnde (palpo), der Hehler (recursus), der eine notwendige Zustimmung Erteilende (consensus), der an der Ausführung Beteiligte (participans); negativen Einfluß alle, die zur Verhinderung des Schadens aus Gerechtigkeit verpflichtet wären u. sie unterlassen, also schweigen, wo sie dagegen reden müßten (mutus), eine pflichtgemäße Anzeige unterlassen (non manifestans), einen pflichtgemäßen Widerstand nicht leisten (non obstans).


b) Zur W. eines Schadens, den mehrere zus. ungerecht verursacht haben, können sie unterschiedl. verpflichtet sein.


b 1.) Das Ausmaß der von den einzelnen zu leistenden W. richtet sich nach ihrer Verantwortung für den gesamten Schaden. Wer für den Gesamtschaden hauptverantwortl. ist (der Auftraggeber; der Ratgeber, der nur zu seinem eigenen Vorteil zur Schädigungshandlung rät), muß allein diesen nach dem ganzen Ausmaß gutmachen; erst bei seinem Versagen trifft die W.spflicht die Ausführenden. Wer mit anderen zus. gleichermaßen für den Gesamtschaden verantwortl. ist (weil er mit ihnen den Gesamtschaden verabredet od. eine notwendige Zustimmung dazu gewährt hat), muß mit ihnen zus. die Last der W. tragen u. erst bei ihrem Versagen allein. Wenn mehrere zwar gleichzeitig, aber ohne Verabredung einem Eigentümer je einen Schaden verursachen, ist jeder von ihnen für seinen Teil ersatzpflichtig.

b 2.) Dringlichkeitsstufen in der Ersatzpflicht ergeben sich aus der verschiedenen Beteiligung an der Schädigungshandlung (vgl. Thomas v. A., S.Th. q.62 a.7 ad 2). Wenn alle in gleicher Stärke mitgewirkt haben, sind alle gleich unmittelbar zum Ersatz ihres Teiles verpflichtet; die für den ganzen Schaden Nebenverantwortlichen müssen erst für den Gesamtschaden aufkommen, wenn die Hauptverantwortlichen versagen. Wenn sie verschieden stark an der Verursachung des Schadens mitgewirkt haben, sind sie zur W. in folgender Reihe verpflichtet: 1. der unrechtmäßige Besitzer einer fremden Sache (wenn er W. leistet, entfällt für alle anderen die Pflicht dazu, da der Eigentümer damit zu seinem Recht gekommen ist), 2. der Auftraggeber od. der zu seinem eigenen Vorteil Ratende, 3. der einen solchen Auftrag od. Rat Ausführende, 4. die positiv Mitwirkenden (der zum Vorteil des Beratenen Ratende; Lobende, Tadelnde, Hehler, Zustimmende, Teilnehmer), 5. negativ Mitwirkende.


III. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus dem Wesen der W.


1. Sie ist grundsätzl. dem ungerecht Geschädigten zu leisten: Ihn hat man an seinem Recht beeinträchtigt, ihm ist daher Ersatz zu leisten (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.62 a.5). "Gebt allen, was ihr schuldig seid" (Röm 13,7).


a) Wenn der Eigentümer sicher u. bekannt ist, muß ihm selbst W. geleistet werden, außer bei Unmöglichkeit od. bei Gefahr des ungerechten Schadens für einen Dritten (eine Sache, die einem Verwahrer, Mieter od. Leiher entwendet wurde, ist zur Verhütung seines Schadens unmittelbar ihm zurückzustellen, nicht dem Eigentümer).


b) Wenn der Eigentümer unbekannt od. unerreichbar ist, darf der redl. Besitzer die Sache als herrenlos ansehen u. behalten (erste Besitzergreifung). Der unredl. Besitzer u. der ungerechte Schädiger dagegen müssen ihre Verfehlung (gemäß dem vorausgesetzten Willen des Eigentümers) durch Zuwendungen an Arme od. für sonstige gute Zwecke gutmachen; für das Gemeinwohl wäre es schädl., wenn sie gleich dem redl. Besitzer die fremde Sache behalten dürften.


c) Wenn sich jemand sicher schuldbar gegen fremdes Eigentum verfehlt hat, jedoch den Eigentümer nicht sicher herausfinden kann, muß er dem wahrscheinl. Eigentümer Ersatz leisten. Wenn einige wenige als Eigentümer in Betracht kommen, empfiehlt es sich, den Ersatz auf sie aufzuteilen. Wer den einzigen od. die wenigen Eigentümer aus einer großen Menge nicht herausfinden kann, könnte den Ersatz durch Zuwendung für gute Zwecke innerh. dieser Menge leisten.


2. Jede Art der W. genügt, durch die die verletzte Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. Der Eigentümer muß die W. nicht einmal merken. Wenn eine zurückzustellende Sache an den Eigentümer abgesandt wird u. unterwegs zugrunde geht, kann sich der schuldlose redl. Besitzer nach dem Grundsatz "Res perit domino" als von weiterer Pflicht frei betrachten. Der Ersatzpflichtige dagegen, dessen Pflicht aus einer Schuld stammt, bleibt belastet, bis der Eigentümer die Sache übernommen hat.


3. Die Kosten der W. muß sich der redl. Besitzer nicht aufladen, da er ja nicht schuldig geworden ist. Er braucht nur den Eigentümer zu benachrichtigen, daß er seine Sache abholen kann. Wer dagegen durch eine Schuld ersatzpflichtig geworden ist, muß den Eigentümer ganz schadlos halten, also auch die Kosten der W. tragen.


4. Die W. soll möglichst bald geschehen, da durch Zurückhaltung das Unrecht fortgesetzt wird (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.62 a.8). Wer nicht alles auf einmal leisten kann, soll es wenigstens teilweise tun. Wer nicht gleich wiedergutmachen kann, muß danach trachten, bald die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Triftige Gründe (z.B. ein durch die W. dem Verpflichteten drohender unverhältnismäßig großer Schaden) berechtigen zum Aufschub. Ein ungerechtfertigter Aufschub dagegen ist Sünde, wenn daraus dem Eigentümer neuer Schaden od. gar das Unmöglichwerden der W. droht.


IV. Die Pflicht der W. kann zeitweilig ruhen od. überhaupt erlöschen.


1. Sie drängt nicht, solange der Ersatzpflichtige dazu nicht die Mittel hat (physische Unmöglichkeit) od. die W. nur mit unverhältnismäßig schwerem Nachteil für sich od. Dritte leisten könnte (moralische U.).


2. Die Pflicht erlischt ganz, wenn sie erlassen wird.


a) Der geschädigte Eigentümer kann dem Ersatzpflichtigen die Schuld ausdrückl. od. durch ein charakteristisches Verhalten nachlassen. Ein wahrer Nachlaß wird frei (von Gewalt, Trug, Irrtum) gewährt.


b) Gelegentl. erläßt der Papst die W. ganz od. teilweise, näml. für Schädigung in Kirchengütern (meistens solchen, die vom Staat beschlagnahmt wurden) od in Gütern, deren Eigentümer unbekannt od. unerreichbar sind, wobei öfters die Bezeugung des guten Willens durch eine Teilleistung (an gute Zwecke) verlangt wird. Durch dieses Vorgehen (Komposition genannt) sollen die Gewissen beruhigt u. wenigstens Teile des zurückzustellenden Vermögens guten Zwecken gesichert werden. Nie wird dieser Erlaß für Güter bekannter u. erreichbarer nichtkirchl. Eigentümer gewährt u. nie, wenn das Unrecht in Erwartung künftigen Erlasses begangen wurde.


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