Verjährung
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1272-1274


Verj. (lat. praesciptio) nennen wir den Erwerb einer Sache, die jemand im Eigentum hatte, durch einen andern od. das Freiwerden v. einer Verpflichtung bloß durch den Ablauf der Zeit.


1. Erwerbende V. (pr. acquisitiva od. usucapio, im österr. Gesetz Ersitzung) ist Eigentumserwerb durch redl. Besitz einer fremden Sache während der gesetzl. vorgeschriebenen Frist.

Verj. ist ein rechtmäßiger Erwerbstitel (vgl. Eigentum). Von Natur aus ist sie nicht gegeben, läßt sich aber auf eine naturrechtl. Wurzel zurückführen. Durch Beruhigung der Eigentumsverhältnisse dient sie der öffentl. Ordnung, für die der Staat zu sorgen hat. Der menschl. Gesetzgeber hat durch seine Oberhoheit ein Recht, aus triftigen Gründen das Eigentum an den redl. Besitzer zu übertragen; durch die V.svorschriften setzt er dafür die näheren Bedingungen fest. Vom kirchl. Gesetz werden derartige staatl. Verfügungen ausdrückl. anerkannt (CICc. 1508). Um des Gemeinwohls willen sind sie als im Gewissen bindend zu erachten. Den nach Ort u. Zeit wechselnden Verjährungsgesetzen sind gewisse Züge gemeinsam:


a) Der Gesetzgeber nimmt manche Rechte v. der erwerbenden V. aus. Geeignet sind daher für die V. nur jene Rechte, die nicht v. einer solchen Ausnahme betroffen werden.


b) Unerläßl. Grundlage der erwerbenden V. ist die Redlichkeit (bona fides) des Besitzers. Nur wer irrigerweise eine fremde Sache, die er besitzt, für die seine hält, wer also ihr zwar unrechtmäßiger, aber redl. Besitzer ist, kann sie durch V. erwerben. Es wäre v. Übel, wenn der menschl. Gesetzgeber jemanden unterstützen wollte, der sich wissend fremdes Gut zu Unrecht aneignet. Erwerbende V. ist nur dann mögl., wenn der Besitzer durch die ganze V.sfrist guten Glaubens ist (vgl. D 816 [439]; CICc. 1512).

Wer also v. vornherein weiß, daß die Sache nicht ihm gehört, kann sie nicht durch V. erwerben. Auch wer innerhalb der V.sfrist draufkommt, daß die Sache nicht ihm gehört, ist zur Rückgabe an den Eigentümer verpflichtet. Auftauchende Zweifel, die trotz Sorgfalt nicht behoben werden können, behindern die Fortsetzung der V. nicht.

Der Besitzer einer fremden Sache kann die redl. Überzeugung, sie gehöre ihm, nur hegen, wenn er dafür eine genügende Stütze hat. Diese Stütze bietet ihm ein anscheinend vorhandender, tatsächl. aber nicht gegebener rechtmäßiger Erwerbstitel, näml. ein existierender, aber wegen eines geheimen Fehlers ungültiger Titel, od. ein nicht existierender Titel, den der Besitzer für existierend hält.


c) Zur Grundlage der erwerbenden V. gehört weiter der tatsächl. ununterbrochene Besitz der Sache od. des Rechtes. So will es der Gesetzgeber.


d) Endl. kann der Erwerb durch V. erst eintreten, wenn der redl. Besitz durch die ganze V.sfrist hindurch gedauert hat. Sie ist nicht überall u. nicht für alle Sachen gleich lang; die Fristen für bewegl. u. für unbewegl. Güter unterscheiden sich beträchtl.


2. Durch die befreiende V. (pr. liberativa) wird eine Person od. eine Sache v. einer Last frei. Als Eigentumserwerbstitel kann diese V. angesprochen werden, soweit sie v. der Pflicht materieller Leistungen an andere befreit od. durch Befreiung v. Einschränkungen des Eigentumsrechtes zu einem volleren Eigentum führt.

Diese Art der V. ist gewöhnl. an folgende Voraussetzungen gebunden:


a) Sie kann nur bei verjährbaren Pflichten eintreten, nicht aber bei solchen, die der Gesetzgeber für unverjährbar erklärt hat.


b) Der Verpflichtete wird frei, wenn der Berechtigte sein Recht innerhalb der V.sfrist nicht gebraucht od. nicht vor Gericht geltend macht.


c) Auch die befreiende V. baut auf dem guten Glauben auf, näml. auf der ehrl. Überzeugung des Verpflichteten, er sei entweder zu nichts verpflichtet od. er könne ohne Gewissensschuld die Mahnung od. Klage des Berechtigten, gegen den er sich nicht trügerisch verhält, abwarten.


d) Die befreiende V. tritt ein, wenn innerhalb der gesetzl. festgelegten V.s-frist das Recht vom Berechtigten nicht geltend gemacht wird.


3. Das kirchl. Gesetz anerkennt die staatl. V.sgesetze auch für den kirchl. Bereich (CICc.1508), macht davon aber gewisse Ausnahmen:

a) Es erklärt gewisse Rechte u. Pflichten für unverjährbar (cc. 1504.1509),

b) schränkt die V. hl. er Sachen ein (c.1510) u.

c) bestimmt für manche Kirchengüter längere V.sfristen. (c.1511).


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