Freiheit
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 479-491


Echte Sittlichkeit steht u. fällt mit der Fähigkeit des Menschen, sich frei zu entscheiden.


I. Der Begriff F. kann in verschiedenem Sinn verstanden werden: von der F. der Entscheidung od. der F. des Tuns.


1. Zur F. der inneren Entscheidung gehört, daß der Mensch in seinen inneren Verhaltensweisen nicht einfach festgelegt (determiniert) ist, sondern sich selbst bestimmen kann.


2. Die F. des Tuns dagegen bedeutet, daß der Mensch das auch ausführen kann, wofür er sich entschieden hat. Wenn er durch äußere Nötigung daran gehindert wird, verliert er dadurch nicht die Fähigkeit der inneren Entscheidung.


II. Die Überzeugung, der Mensch sei fähig, sich selbst innerlich zu entscheiden (Willens-F.), stützt sich auf gute Gründe.


1. Diese liegen hauptsächl. in der Erfahrung des Menschen.


a) Er erfährt durch sein eigenes Selbstbewußtsein, daß er in den meisten seiner Handlungen nicht von innerer Nötigung geleitet wird, sondern sich selbst zum Handeln von der u. der Art bestimmt; daß er es in der Hand hat, nicht od. anders zu handeln. Ein Überlegen, Sichentschließen, Widerrufen eines Entschlusses hätte ohne diese Fähigkeit keinen Sinn. Die Willenspsychologie deckt die Stellen der Handlungskette auf, an denen der Wille bestimmend eingreifen kann. Auf dieser Erfahrung des Selbstbewußtseins baut die Überzeugung von der Entscheidungs-F. in der ganzen Menschheit auf. Aus ihr heraus lobt man überall das Gute u. tadelt man das Böse, belohnt man Verdienste u. straft man Verbrechen, gibt man Gesetze, die ein Sollen aussprechen, unterscheidet man zw. reinem Versehen u. schuldhafter Tat (vgl. Thomas v. Aq., S. Th. 1 q.83 a.1).


b) Demgemäß setzen auch die Offenbarungsurkunden die Entscheidungs-F. des Menschen voraus: Sie gebieten u. raten, loben u. tadeln, verheißen Lohn od. Strafe.

Freilich, wenn sich die Offenbarung der Frage der Entscheidungs-F. ausdrückl. zuwendet, tut sie es nicht unter dem Gesichtspunkt des phil. Problems der Willens-F., sondern unter dem Gesichtspunkt des Heiles: Der Mensch hat die F., sich für od. gegen Gott zu entscheiden. "Ich rufe heute Himmel u. Erde wider euch zu Zeugen an: Leben und Tod, Segen u. Fluch habe ich dir vor Augen gestellt. So sollst du denn, daß du u. deine Nachkommen am Leben bleiben, das Leben wählen, indem du Jahwe, deinen Gott, liebst, seiner Stimme gehorchst u. ihm anhängst" (Dtn 30,19 f). "Wenn du willst, kannst du die Gebote halten, u. Treue zu üben liegt in deiner Macht. Hingeschüttet hat er vor dir Feuer u. Wasser, wonach dich verlangt, strecke deine Hand aus. Vor dem Menschen liegen Leben und Tod, was er will, wird ihm gegeben" (Sir 15,15-17; vgl. 31,10; Jer 29,13 f; 66,4). "Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, u. ihr habt nicht gewollt" (Mt 23,7). Paulus sieht den Menschen ohne Christus schwach u. doch verantwortl. für seine Sünde; durch Christus wird er gestärkt u. befreit vom Ausgeliefertsein an Sünde, atl Gesetz (das die Forderungen Gottes zeigt, ohne zu ihrer Erfüllung zu helfen) u. Tod (der aus der Sünde entspringt), u. doch bleibt er weiter zur Sünde fähig u. daher aufgerufen, durch eigene Entscheidung das Gesetz Gottes (den Grundauftrag der Liebe) zu erfüllen (vgl. Röm 5,12-21; 6,15; 7,7-25; 8,20; 1 Kor 6,12; 10,23; Gal 2,15-21; 5,1.13 f; Joh 8,36). Theologen haben vielfach mit dem Problem gerungen, wie Gnade u. F. des Menschen miteinander (ineinander) gehen: Das Heil des Menschen hängt ganz von der Gnade Gottes ab, u. doch bedarf es dazu auch des Mitwirkens des Menschen. Paulus sieht sich von Christus Jesus ergriffen, ist aber auch darauf aus, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus nachzujagen (Phil 3,12-14); er weiß um die empfangene Gnade, aber auch um sein eigenes Schaffen in der Kraft der Gnade (1 Kor 15,10).

In der Möglichkeit des Menschen, sich auch Gott gegenüber frei zu entscheiden, leuchtet der letzte Sinn der menschl. F. auf: den Menschen zum Empfang jener höchsten Selbstmitteilung Gottes fähig zu machen, in der er zum Liebenden im Sinne Gottes wird. "Gott wollte näml. den Menschen 'in der Hand seines Entschlusses lassen' (vgl. Sir 15,14), so daß er seinen Schöpfer aus eigenem Entscheid suche u. frei zur vollen u. seligen Vollendung in Einheit mit Gott gelange" (2. Vat. Konz., GS 17; vgl. DH 11).

Die christl. Tradition hält an dieser F. des Menschen fest. Augustinus setzt sich in seiner Frühzeit mit der Stoa auseinander, mit deren Lehre vom strengen Naturzusammenhang allen Geschehens sich die Willens-F. schwer vereinbaren läßt (vgl. Contra academicos I 1,1, PL 32,905 f). Später geht es ihm um das christl. Problem "Gnade u. F." (De libero arbitrio; De gratia et libero arbitrio; De correptione et gratia). So sehr er die Gnade preist, fällt es ihm doch nicht ein, die Entscheidungs-F. des Menschen anzuzweifeln. "Nichts ist sosehr in unserer Macht wie das Wollen" (De lib. arb. III 2, PL 32,1271). Diese Überzeugung gewinnt er aus der eigenen Erfahrung: "Wenn ich also etwas wollte od. nicht wollte, so war ich es, dessen war ich vollkommen sicher, u. nicht ein anderer, der wollte u. nicht wollte" (Conf. VII 3,5, PL 32,735). Aber auch die Offenbarung verbürgt ihm diese F. (vgl. De gratia et lib. arb. 2, PL 44,882). Selbst dem Gnadenwirken Gottes gegenüber sieht er den Menschen frei (vgl. De spir. et litt. 34,60; De contin. 16; PL 44,240; 40,359). Thomas v. Aq. findet: "Der Mensch unterscheidet sich von den anderen, den vernunftlosen Geschöpfen dadurch, daß er Herr seiner Taten ist" (S. Th. 1,2 q.1 a.1). Erst die Reformatoren geben unter dem Einfluß ihrer pessimistischen Erbsündenlehre u. Nurgnadenauffassung die Entscheidungs-F. des Menschen in Dingen des Heiles preis (vgl. Luther, De servo arbitrio); die Jansenisten folgen dieser Auffassung. Im kath. Bereich geht es in der Auseinandersetzung zw. Thomismus u. Molinismus um die beiden Pole Gnade u. F., die beide feststehen, ohne daß ihr Verhältnis zueinander bis ins letzte geklärt werden könnte (D 1797 2008).


c) Das kirchl. Lehramt hat sich gegenüber Leugnungsversuchen wiederholt für die Entscheidungsfähigkeit des Menschen eingesetzt (D 331 685 1177 1486 2812). Das Konzil von Trient hat klargestellt: Diese Fähigkeit ist dem Menschen durch die Erbsünde nicht verlorengegangen (D 1521 1555) u. wird ihm durch den Gnadeneinfluß Gottes nicht genommen (D 1525 1554). Ähnl. Stellungnahmen wurden gegenüber M. de Bay (D 1927 f 1939-41 1966), Jansen (D 2003 2301 2308), Quesnel (D 2409-25 2438) u. der Synode von Pistoia (D 2621) notwendig. Das 1. Vat. Konzil lehrt, daß der Glaube nicht nur von der Einsicht, sondern auch vom Wollen des Menschen abhängt, das der Gnade widerstehen kann (D 3008 3010; vgl. 3875 f). Nach der Überzeugung des 2. Vat. Konzils liegt das wahre Wesen des Menschen in seinem Herzen, "wo er selbst unter den Augen Gottes über sein eigenes Geschick entscheidet" (GS 14). "Die Würde des Menschen verlangt daher, daß er in bewußter u. freier Wahl handle, d.h. personal, von innen her bewegt u. geführt u. nicht unter blindem innerem Drang od. unter bloß äußerem Zwang" (GS 17; vgl. Pius XII., (UG 466).


2. Die Gegner der Entscheidungs-F. des Menschen werden zu ihrer Auffassung weniger durch die Erfahrung als durch Schwierigkeiten geführt, die ihnen aus ihren Denksystemen hinsichtl. solcher F. erstehen.


a) Eine Hauptschwierigkeit ergab sich vom naturwissenschaftl. Denken her, das gewohnt war, alles Geschehen in streng notwendiger Abfolge von Ursache u. Wirkung zu sehen. Für eine F., die sich anscheinend in ein solches System nicht einfügt, hat dieses naturwissenschaftl. Denken keinen Platz. Schon Kant hat mit dem Problem gerungen. Er steht einerseits im Bann der Newtonschen mathematisch-mechanischen Gesetzlichkeit der Natur, anderseits wehrt er allem daraus hergeleiteten Fatalismus, da er über der Welt der verstehbaren Naturnotwendigkeit die der unverstehbaren, aber durch die praktische Vernunft gesicherten F. sieht. So scheidet er zw. dem in der Erfahrungswelt stehenden empirischen Menschen, der in allem der Naturkausalität unterliegt, u. dem über die Erfahrungswelt hinausgehenden intelligiblen Menschen, der der eigenen moralischen F. der Selbstbestimmung mächtig ist. Er faßt die F. als die Möglichkeit der moralischen Person zu einer "sich gänzl. von selbst bestimmenden Kausalität". Das unerklärl. Geheimnis des Menschen liegt für ihn in seiner "Unabhängigkeit von einem Mechanismus der ganzen Natur", in einer "Spontaneität", kraft deren der Mensch "einen Zustand, mithin auch eine Reihe Folgen desselben schlechthin anzufangen" vermag. Diese "transzendentale" F. der Vernunftperson hält Kant aber für "wissenschaftl." nicht erkennbar, weil erkennbar nach ihm nur die Natur als "Inbegriff aller Erscheinungen" ist, u. zwar dadurch, daß ihr der Verstand in seiner Kategorie der Kausalität ihre Regelhaftigkeit u. Gesetzlichkeit vorschreibt. Kant kommt aber um die Tatsache der F. nicht herum. In seiner Geschichtsphilosophie bezeichnet er als Ziel der Geschichte u. ihrer "Fortschreitung" den Sieg der F. über die Natur. F. ist dort "der einzige Begriff des Übersinnlichen, welcher seine objektive Realität (vermittels der Kausalität, die in ihm gedacht ist) an der Natur durch ihre in derselben möglichen Wirkung beweist". Damit ist F. als etwas bezeichnet, das sich auch in der Natur auswirkt. Gegenüber dem naturwissenschaftl. Denken, das für die F. anscheinend keinen Platz hat, ist zu betonen: Die F. kann nachgewiesen werden, wenn auch nicht durch naturwissenschaftl. Methoden. Es gibt eben neben den naturwissenschaftl. noch andere Zugänge zur Wirklichkeit.


b) Eine Überbetonung der Naturgesetzlichkeit finden wir auch im dialektischen Materialismus. Nach ihm besteht F. nur in der Erkenntnis der notwendig wirkenden Entwicklungsgesetze u. in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirksam werden zu lassen (Engels). Gerade diese Auffassung von F. befähigt die Anhänger des dial. Mat. zum restlosen Einsatz für das von ihnen angestrebte Gesellschaftssystem, sehen sie sich doch als Werkzeuge der geschichtl. Notwendigkeit u. stellen sich bewußt in ihren Dienst. Darin liegt zugleich die Unfolgerichtigkeit dieser Anschauung: Wenn die Entwicklungsgesetze mit Notwendigkeit wirken, müßte es überflüssig sein, daß man immer wieder alle Kräfte anspornt, um zum behaupteten Ergebnis der notwendigen Entwicklung zu kommen; indirekt gibt man damit zu, daß es doch auf die Entscheidung u. den Einsatz des Menschen ankommt.


c) Eine andere Schwierigkeit gegen die F. der Entscheidung scheint sich auf die Erfahrung stützen zu können: Die persönl. Erfahrung mit Mächten u. Geschehnissen, die das Leben des Menschen ganz anders gestalten, als es sein Wunsch wäre, hat in vielen die Überzeugung entstehen lassen, der Mensch sei derart in einen überindividuellen Zusammenhang hinein verflochten (derart einem "Schicksal" ausgeliefert), daß sein eigenes Entscheiden zu bloßer Täuschung werde. Der Schicksalsglaube achtet jedoch nicht genug auf den Unterschied zw. dem Sichentscheidenkönnen u. der Möglichkeit, das durchzusetzen, wofür man sich entschieden hat. Ferner übersieht er, daß Menschenschicksal mehr ist als kausalnotwendiges Werden. In ihm verflechten sich ein Geschehen, das menschlicher Verfügung entzogen ist, u. ein Tun, das menschl. F. entspringt. Schicksal bedeutet richtig verstanden nicht Ablösung der F. durch die Notwendigkeit, sondern bloß Begrenzung der F. durch Natur, persönl. Individualität, biologisches Erbe u. historische Situation. Es bedeutet ferner eine Aufgabe für die F., das Schicksal aufzugreifen u. durch seine Einbeziehung in die persönl. Wirksphäre zu wachsen.


d) Mit der Erfahrung hat es auch die Moralstatistik zu tun. Sie stellt in Zahlen dar, daß dieselben sittl. Phänomene (bes. Verbrechen) unter denselben Bedingungen ungefähr gleich oft vorkommen (wobei sie allerdings mit mehr od. minder großen "Dunkelziffern" ihre Schwierigkeiten hat), u. zieht daraus den Schluß, Leidenschaften u. Umstände wirkten auf den Menschen derart determinierend, daß von F. keine Rede mehr sein könne. Diese Folgerung bestünde aber erst zu Recht, wenn nachgewiesen würde, daß ausnahmslos kein von einer bestimmten Leidenschaft geplagter Mensch unter bestimmten Umständen die Versuchung überwunden hätte; dieser Nachweis ist nicht erbracht (vgl. Pius XII., UG 1910).


e) Die Psychopathologie (Psychiatrie) erforscht das abnormale Seelenleben u. stellt dabei fest, daß viele seelisch Kranke in ihren Handlungen unfrei sind. Wenn man daraus die allgemeine These aufstellen will, kein Mensch besitze die F. der Entscheidung, muß dem widersprochen werden. Abgesehen davon, daß die Beeinträchtigung dieser F. auch nicht bei allen seelisch Erkrankten gleich weit geht, darf man nicht ohne weiteres vom Kranken auf den Gesunden schließen.


3. Mit dem Stehen zur F. der Entscheidung als der notwendigen Grundlage jegl. sittl. Lebens soll nicht behauptet werden, daß der menschl. Wille in seinen Entscheidungen nicht an Voraussetzungen gebunden u. Einflüssen ausgesetzt wäre. Eine andere Frage ist es, ob er ihnen hilflos ausgeliefert ist (vgl. Pius XII., UG 466).


a) Freie Entscheidung setzt Erkenntnis voraus: Der Mensch kann sich nur für etwas entscheiden, was er irgendwie kennt. Die Erkenntnis zeigt dem Willen, welche Gründe für u. welche gegen ein Verhalten sprechen (vgl. Augustinus, Ep. 140/2,3, PL 33,539). Das Wollen selbst aber entscheidet, von welchen Gründen (Motiven) es sich bestimmen läßt. Alles, was verhindert, daß die Vorzüge u. die Mängel eines bestimmten Verhaltens in vollem Umfang erkannt werden, engt auch das Feld ein, in dem der Mensch sich frei entscheiden kann. Solche verhindernden Ursachen können im Menschen liegen, in seiner geringen Intelligenz od. Bildung od. in krankhafter Störung der Erkenntnis. Aber auch von außen (durch die Erziehung in Familie u. Schule, durch die sozialen u. politischen Verhältnisse) können Einflüsse auf die Erkenntnis ausgeübt werden, die für die freie Entscheidung bessere od. schlechtere Voraussetzungen schaffen. "Es gibt Verführung durch Philosophie" (Augustinus, Conf. III 4,8, PL 32,686; vgl. 2. Vat. Konz., GS 25). Jede Einseitigkeit der Erkenntnis engt ja den Bereich der freien Entscheidung ein.


b) Die Motivwahl wird dem Menschen vielfach erschwert, wenn in ihm schon Neigungen u. Abneigungen in bestimmter Richtung vorhanden sind; diese können umso leichter Oberhand gewinnen, je mehr die Tatkraft des Willens, der sie zügeln sollte, schwächenden Einflüssen ausgesetzt ist.


c) Zu den Nachwirkungen der Erbsünde, unter denen der Mensch leidet, gehört es, daß sein Wille mit spontan auftretenden Strebungen u. Neigungen zu ringen hat. Sie sind nicht von vornherein einer von der Vernunft aufgezeigten sittl. Ordnung eingefügt, sondern unter Führung des frei entscheidenden Willens erst einzufügen. Die Erfüllung dieser sittl. Aufgabe gelingt häufig nur mit vieler Mühe. Paulus klagt: "Ich habe dem inneren Menschen nach Freude am Gesetz. Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Denkens widerstreitet und mich in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist, gefangen hält" (Röm 7,22 f).

Trotz der Stärke des Widerstreites gehen die Reformatoren zu weit, wenn sie den Menschen unentrinnbar in der Grundbefindlichkeit sehen, sein eigenes Selbst unabhängig von Gott leben zu wollen, und wenn sie dem Willen die Möglichkeit absprechen, gegen das Gesetz der Sünde aufzukommen; sie übersehen damit die Erfahrung des tägl. Lebens. "Oder ist etwa der Mensch gezwungen, den bösen Begierden, die er im Herzen trägt, zuzustimmen u. wirkl. zu sündigen? Das sei fern! Etwas anderes ist es, böse Begierden im Herzen haben, etwas anderes, 'ihnen übergeben werden' (Röm 1,24), näml. so, daß man durch Zustimmung in ihre Gewalt kommt" (Augustinus, Contra Iul. V 3,11, PL 44,789).


d) Die oft vorhandenen Behinderungen der Entscheidungs-F. berechtigen u. nötigen dazu, diese F. im Sinn eines gemäßigten Indeterminismus zu vertreten. Allerdings, wenn der Mensch zum sittl. Leben, d.h. zur freien Selbstgestaltung seines Lebens gemäß dem ihm aufgetragenen Sollen, verpflichtet ist, trägt er auch Verantwortung dafür, die Fähigkeit zu dieser Selbstgestaltung in sich zu entwickeln. Das bedeutet, daß er sich von allen Einflüssen freizumachen u. freizuhalten hat, die ihn daran hindern (frei von aller Entstellung der Erkenntnis u. von aller verkehrten Neigung), u. daß er im Gegenteil alles zu pflegen hat, was ihn zu dieser Selbstgestaltung befähigt (vor allem die volle Erkenntnis seines Sollens u. die Festigung der guten Neigungen). Das ist ein wichtiger Teil der sittl. Aufgabe jedes Menschen u. jeder Erziehungsaufgabe an anderen Menschen.


III. Die freie Entscheidung zielt auf ein entsprechendes Tun hin. Häufig ist der Mensch allerdings an der Ausführung dessen behindert, wofür er sich entscheidet.


1. In der Menschheit hat sich die Überzeugung vom Menschenrecht auf freie Lebensgestaltung durchgesetzt ("Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, F. u. Sicherheit der Person", Allg. Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen, Art. 3). "Und diese F. schätzen unsere Zeitgenossen hoch u. erstreben sie leidenschaftlich. Mit Recht" (GS 17).


a) In der Sicht der Offenbarung hat es Gott dem Menschen in die Hand gegeben, selbst sein Schicksal zu gestalten (vgl. GS 17). Diese Möglichkeit u. Fähigkeit gehört zur Würde des Menschen, u. Gott läßt sie ihm auch trotz der Gefahr des Mißbrauches. "Denn er nimmt Rücksicht auf die Würde der von ihm geschaffenen menschl. Person, die nach eigener Entscheidung in F. leben soll" (DH 11). Wenn dies die Absicht Gottes ist, müssen auch die Menschen einander im Recht der freien Lebensgestaltung achten (vgl. D 3771 3773 3775; Pius XII., UG 359 363 515 684 2135 3869 5125 5438 5901 6396; Johannes XXIII., PT 15 18 23 25 f 35 37; GS 12 17; DH 2 6).


b) Das eine Recht auf F. konkretisiert sich in vielerlei F.srechten, etwa auf F. im rel. Bereich, in der Standeswahl, in der Gattenwahl, in der Familiengründung u. -gestaltung, in der Wahl des Wohnortes u. des Arbeitsplatzes, in der Formung des sozialen Lebensraumes (vgl. Menschenrechte). F. steht nicht nur dem Einzelmenschen zu, sondern auch den Gemeinschaften, zu denen sich einzelne auf sittl. einwandfreie Ziele hin zusammentun (auch Völkern u. Staaten, auch der Kirche; Religionsfreiheit).


c) Das Recht auf F. stößt dort auf Grenzen, wo der Mensch durch den Gebrauch seiner F. anfängt, die Rechte anderer zu beeinträchtigen. Für den notwendigen Ausgleich der Interessen hat die für das Gemeinwohl verantwortl. Führung der Gemeinschaft zu sorgen, in der im Staat lebenden Gesellschaft die Staatsführung, die für die öffentl. Ordnung verantwortl. ist. Die F., auf die der Mensch ein angeborenes Recht hat, darf jedoch nur in dem für das Zusammenleben unbedingt notwendigen Ausmaß eingeschränkt werden. Jeder rechtmäßigen Beschränkung wohnt das Bestreben inne, sofort nach Aufhören ihrer Notwendigkeit der F. wieder Raum zu geben (vgl. GS 71 75; DH 7).


2. Nach der Offenbarung liegt der Sinn der F. nicht darin, daß der Mensch zur Selbstherrlichkeit ermächtigt werden soll, sondern darin, daß er seine gottgegebene Bestimmung, die Liebe zu Gott u. mit Gott, erfüllen kann, da Liebe nur in F. verwirklicht werden kann. "Gewiß, zur F. seid ihr berufen, Brüder! Nur macht die F. nicht zum Stützpunkt des Fleischestriebes, dient vielmehr einander in Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt, näml.: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Gal 5,13 f; vgl. 1 Kor 6,12; 10,23; Röm 6,15; 1 Petr 2,12; 2 Petr 2,19)

Auch der Mensch dieser F. hält sich an Gebote ("Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten", Joh 14,15; vgl. 14,21.23 f; 1 Joh 5,3; 2 Joh 6), aber er tut es nicht in bloßem Gesetzesgehorsam, ohne inneres Verhältnis zu dem in ihnen sprechenden Liebeswillen Gottes, sondern in innerer Bereitschaft dafür ("Wenn ihr in meinem Worte bleibt, dann werdet ihr wirkl. meine Jünger sein; ihr werdet die Wahrheit erkennen, u. die Wahrheit wird euch frei machen", Joh 8,31 f; vgl. 8,36), u. nicht in der Haltung der Gesetzesgerechtigkeit, die durch Leistungen etwas von Gott erkaufen will, sondern in gläubiger Ganzbereitschaft für den Liebeswillen Gottes ("Aber wir halten dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke", Röm 3,28).


Zurück zum Index